Freitag, 7. März 2014

...von Models, Menschen und den vorherrschenden Vorurteilen


Hallo ihr Lieben, 
hier ein Artikel, den Labelgründerin Scarlett Großelanghorst vor einiger Zeit für das deutsche Lingerie-Blog Dessous Diary geschrieben hat. Da es für uns ein zentrales Anliegen ist, gibt es ihn nun nochmal hier zu lesen. Und natürlich legen wir euch an Herz Dessous Diary bei facebook zu folgen, wenn ihr ein bisschen mehr Einblicke in die Welt der Wäsche erhalten möchtet.

Liebe Leser,
diesen Artikel schreibe ich aus einem persönlichen Anliegen heraus. Er spiegelt allein meine Meinung wieder. Und zwar geht es um die ewige Qual des sich für seine Modelwahl rechtfertigens, für die Nutzung von Photoshop und alles was dazu gehört. Oder gar der Steigerung davon, die Models regelrecht entmenschlicht: „Wieso nehmt ihr nicht einfach normale Frauen?!“.
Mittlerweile habe ich aufgehört, mich auf Diskussionen einzulassen. Ich betone lediglich, dass all unsere Models gesunde, gebildete Frauen sind. Der Rest der Diskussion ist mir zuwider.

Model in Suit von Lost in Wonderland
Wenn ich Facebookeinträge lese, in denen dünne Models als „Knochenberge“ beschimpft oder kurvige Frauen als „fette Planschkühe“ bezeichnet werden, möchte ich am liebsten den Computer wieder ausschalten. Besonders schlimm ist auch das regelmäßig aufblitzende Meme „Echte Männer wollen Kurven, nur Hunde spielen mit Knochen.“ Eigentlich möchte ich mit der zwischenmenschlichen Diskreditierung wegen genetischer Veranlagung und Äußerlichkeiten nichts am Hut haben. Prekärer Weise arbeite ich in einer Branche, die das Frauenbild maßgeblich formt. Ich bin studierte Designerin und obendrauf selbstständig, so dass ich vollkommen freie Hand darüber habe, welchen Model-Typus ich repräsentativ für meine Lingerie wähle.
Die Körperpflegemarke Dove hat, nachdem sie „kurvige Frauen“ für ihre Werbekampagne verwendet haben, meiner Erinnerung nach eine knapp 40%ige Umsatzsteigerung verzeichnet. Das ist eine ungeheuere Leistung und sagt viel über das Konsumverhalten der Zielgruppe aus.
Als Firma habe ich eine definierte Zielgruppe. Ich kenne sie analytisch betrachtet sehr gut, aus privater Leidenschaft heraus noch besser, falle ich doch selbst ein Stück weit hinein.
Ich bin mit unserer Modelwahl für lost in wonderland sehr glücklich. Meine „Galionsfigur“, wie ich sie manchmal scherzhaft nenne, ist eine aus meiner Sicht wunderhübsche Frau: 1,80m groß, rote Haare, braune Augen, schlank, hübsch, mit weiblichen Rundungen, gesund, intelligent, gebildet, berufstätig (nicht nur als Model) – und im Grunde auch repräsentativ für meine Zielgruppe. An dieser Stelle sei erwähnt, dass betreffende Dame unsäglich Glück hat, dass sie viel essen kann, was andere nur ansehen und davon zunehmen. Ihr wollt gar nicht wissen, wie wir uns quer durch Berlin futtern, wenn sie hier ist. Zu den besten Entdeckungen gehörte ein sog. ‚Obstdöner’ unweit meiner Wohnung, mit zuckerigen Soßen, Schokodrops und allem Drum und Dran in einer wundervoll süßen Waffel.
Nein, an Größe 38, 40, etc. ist wirklich nichts verkehrt.
Mir wurde bereits ans Herz gelegt, ich solle doch ein Model mit mehr Brust nehmen, am besten eine hellblonde Dame. Ohne Tattoos. Und vermutlich am besten noch blauäugig und auf kindliche Art niedlich. Ich werde auch regelmäßig gefragt, warum ich keine Größe 38 nehme. – Nein, an Größe 38 ist wirklich nichts verkehrt. Allerdings sind Fotos gemein. Und zwar wirklich so richtig gemein. Man sieht alles. Und es neigt dazu alles etwas unschöner als in Realität auszusehen.
Der Popo einer Frau gehört definitiv zu den weicheren Stellen des Körpers.
Model in roter LIngerieUnd bei Unterwäsche wird die Problematik noch etwas extremer. BHs müssen im Unterbrustumfang stramm sitzen. Formt der BH am Rücken ein U, dann passt schlicht und ergreifend der Unterbrustumfang nicht. Und ist etwas stramm, passt es in diesem Fall gut, dann schneidet es leicht ein.
Passende Höschen schneiden nicht ein, das ist wahr. Jedoch gehört der Popo einer Frau definitiv zu den weicheren Stellen des Körpers. Und sobald das Wäsche falsch steht, die Hüfte anders rausstreckt, ergeben sich kleine Einschnitte. Und je mehr Popo mit mehr Fettgewebe vorhanden ist, desto mehr Arbeit hat der Fotograf hinterher bei der Retusche. Das ist nicht nur ärgerlich, weil es ein Zeitaufwand ist, sondern es ist auch ein Kostenfaktor.
Ein weiterer Faktor für ein Shooting ist die Zeit. Unsere neue Herbst/Winter-Kollektion hat 34 Teile. Aus meiner Sicht ist dies ein gesunder Kollektionsumfang für Dessous.
Werbung verkauft Träume
Nun braucht man von jedem einzelnen Teil Bilder von vorne und hinten. Unser Model ist Profi, unsere Fotografen sind es natürlich auch, genauso wie die Hair und Make Up Artists. Trotzdem brauchen wir im professionellen Rahmen einen Tag für alle Bilder. Angenommen wir nähmen nun ein Model mit wenig Erfahrung oder gar eine x-beliebige Frau … Wir würden es nicht an einem Tag schaffen.
„Wieso macht ihr nicht einfach alles doppelt, einmal am Model, einmal am ‚Menschen’.“ – ganz einfach, es rechnet sich nicht. Ware an gut retuschierten Models verkauft sich Studien zu Folge besser. Es ist leider so, wir Menschen sind visuell und ein Stück oberflächlich. Wir sehen gerne schöne Dinge, schöne Menschen, eben das, was ein wenig einem geschönten Ideal entspricht. Und Werbung verkauft Träume.
Gruppenbild Models von Lost in Wonderland
Für unsere Show am 16.01. im Rahmen einer Seitenveranstaltung der Berliner Fashionweek haben wir ein sehr breites Spektrum an Frauen gewählt. Kleine Damen, große Damen, Model-große Damen, wenig Brust, normal viel Brust, viel Brust. Ganz dünn & zauberhaft kurvig, natürlich, bunthaarig, stark tätowiert.  -  Für manche war es vermutlich ein ziemlich bunter, durchgewürfelter Anblick. Mir persönlich war es ein Anliegen, dem Publikum zu zeigen, dass unsere Wäsche, obgleich wir sie selbst in Bildform an einem professionellen Fashionmodel zeigen, allen Frauentypen steht und schmeichelt. Meiner Meinung nach ist uns dies gelungen. Ein bisschen negatives Feedback habe ich natürlich erhalten, da man im Rahmen einer Mode-Veranstaltung ausschließlich 1,80m große Grazien erwartet. Wir haben uns jedoch bewusst für Frauen aller Größen entschieden, um dem regulären Bild ein wenig entgegen zu wirken.
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Manchmal tut es gut, wenn elfengleiche Hochglanz-Editorial-Models plötzlich im Atelier stehen hat und sehr menschlich aussehen.
Frauen müssen in unserer Welt keine 1,80m sein und zugleich eine Kleidergröße 32/34 tragen. Ich selbst bin eine 38 bei 1,73m. In Schmeichelgrößen passt mir auch hin und wieder eine 36. Ich würde mich als figurtechnischen Durchschnitt bezeichnen. Und damit, dass ich berufsbedingt häufig mit überdurchschnittlich schönen Menschen zu tun habe, habe ich mittlerweile halbwegs meinen Frieden gefunden.
Und manchmal tut es gut, wenn man Frauen, die man nur als elfengleiche Hochglanz-Editorial-Models von ihren Sedcards kennt plötzlich im Atelier stehen hat und sie ohne Make Up und den ganzen Kram sehr menschlich aussehen. Und wenn auch sie Sorgen um Dellen an Bein und Po äußern und danach mit großer Begeisterung bei der Schokolade zugreifen und sich dann beschweren, dass sie bei manchen Shootings tatsächlich nur Salzstangen, Salat ohne Dressing oder gar nur Leitungswasser bekommen.
Wen es um 22:30 stört, dass eine kleine Essbeule am Bauch entsteht, dem lege ich ans Herz, sich zu überlegen, ob man wirklich so hart mit anderen ins Gericht gehen muss.
Deswegen haben vor der Show für unsere Models gebacken. Verschiedene Muffins und Mississippi Mud Pie (der meiner Meinung nach leckerste Schokokuchen der Welt). Frei nach dem Motto: Für mehr Menschlichkeit. Und wen es stört, dass meine Ladies, wenn sie um halb 22:30 Abends in Unterwäsche für uns das Parkett betreten, sich vorher schon Kuchen einverleibt haben und eine kleine Essbeule am Bauch entsteht, dem lege ich ans Herz, doch erstmal auf den eigenen Bauch um 22:30 zu gucken, und sich zu überlegen, ob man wirklich so hart mit anderen ins Gericht gehen muss.
In diesem Sinne: Für mehr Toleranz und ein gesundes Körperbewusstsein.
Das gilt sowohl für Models als auch für den Durchschnittsmenschen. Mir ist bewusst, dass jeder Punkte hat, mit denen er bei anderen ein Problem hat. Aber man muss es anderen nicht schmerzhaft unter die Nase reiben oder sich gar bei Social Media öffentlich abfällig äußern.


lingerie design by Scarlett Großelanghorst

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